Der Vertragsabschluss

Ein Vertrag wird durch die Einigung der Vertragsparteien über Leistung und Gegenleistung (sog. Hauptpunkte)  abgeschlossen:

Tatbestand: 

Art. 1

1 Zum Abschlusse eines Vertrages ist die übereinstimmende gegen­sei­tige Willensäusserung der Parteien erforderlich.

2 Sie kann eine ausdrückliche oder stillschweigende sein.

Tatbestandsmerkmale:

Liegt eine

  • übereinstimmende
  • gegenseitige
  • Willensäusserung vor?

Rechtsfolge: Vertragsabschluss

 

 

Beispiel:

Du bietest dein Motorrad zum Verkauf an. Ein Mitstudent interessiert sich für dein Angebot. Ihr werdet euch über die Kaufsache (Motorrad) und den Kaufpreis einig.

Der Kaufvertrag entsteht zwischen zwei Parteien, die sich gegenseitig Leistungen (Motorrad und Kaufpreis) versprechen und übereinstimmend ihren Willen dazu äussern

 

 

Im Detail


Antrag und Annahme = Einigung (Konsens, Art. 1 Abs. 1 OR)

Ein Vertrag kommt dann zustande, wenn eine Person einen Antrag (Angebot, Offerte) stellt und die andere Person diesen annimmt (Annahme). 

 

Äusserung des Vertragswillens (Art. 1 Abs. 2 OR)

Der Vertragswille der Parteien kann ausdrücklich oder stillschweigend geäussert werden. Ausdrücklich wäre ein laut ausgesprochenes "Ja" oder die Unterzeichnung eines schriftlichen Vertrages. Stillschweigendes (sog. konkludentes = schlüssiges) Verhalten zeigt sich z.B. dadurch, dass ein Kunde seine Produkte selbst einscannt und bezahlt (Self-Scanning-Systeme im Detailhandel).

 

Fristgerechte Annahme (Art. 3 bis 5 OR)

Die Dauer der Gültigkeit eines Antrags hängt davon ab, wie lange die andere Partei objektiv Zeit braucht, das Angebot zu prüfen und darauf zu antworten. Je komplexer der Vertragsgegenstand, desto länger dürfte diese Frist sein.

 

PRAXISTIPP 1

Aus juristischer Sicht ist es empfehlenswert, Offerten zu befristen. Für den Kunden ist dadurch klar, bis wann er sich entscheiden muss. (vgl. Art. 3 OR)

 

PRAXISTIPP 2

Ist die Frist bis zur Annahme sehr lange angesetzt, besteht die Gefahr, dass sich für den Anbieter die Bedingungen ändern (z.B. Einkaufspreise, Produktverfügbarkeit). In diesem Fall ist es möglich, folgende Klausel in die Offerte aufzunehmen: "Diese Offerte gilt bis zum [Datum]. Ein Widerruf wird ausdrücklich vorbehalten."

Bemerkt der Offerent, dass er sein Angebot nur noch zu seinem Nachteil einhalten kann, die Frist ist aber noch nicht abgelaufen, kann er die Offerte widerrufen. Aber Achtung: Für langfristige Kundenbeziehungen ist dieses Vorgehen nicht sehr vertrauensbildend und sollte nur in Ausnahmefällen umgesetzt werden. 

Alternativ kann einfach eine unverbindliche Offerte gestellt werden (vgl. Art. 7 Abs. 1 + 2 OR).

 

Verbindlichkeit des Antrags (Art. 7 OR)

Neben verbindlichen Anträgen kennt das Gesetz auch unverbindliche Anträge. Unverbindlich ist ein Antrag, dem eine Behaftung ablehnende Erklärung (z.B. "Diese Offerte ist unverbindlich." oder Schild "Verkauft" beim Ausstellungsmodell in einem Autohaus) beigefügt ist oder es sich bei der Offerte um Tarife, Preislisten, Kataloge und dergleichen handelt (Art. 7 Abs. 1 + 2 OR).

 

PRAXISTIPP 3

Beachte, dass unbestellte Sachen keine Anträge sind (Art. 6a OR). Hast du eine Sendung im Briefkasten, bei der du sicher bist, dass du die Ware nicht bestellt hast, kontrolliere, ob auf dem Paket tatsächlich dein Name draufsteht. Vielleicht handelt es sich um eine irrtümliche Zustellung. Wenn dem so ist, gib das Paket an den Zusteller zurück oder informiere den korrekten Empfänger. Handelt es sich um eine Werbesendung (z.B. erhältst du ein Ansichtsexemplar, in der Hoffnung, dass du weitere Bestellungen tätigst), brauchst du nichts weiter zu unternehmen. Du musst die Ware weder bezahlen noch zurückschicken. 

 

PRAXISTIPP 4 E-Commerce

Gemäss Art. 7 Abs. 3 OR stellt die Auslage von Waren einen verbindlichen Antrag dar. 

 

Beispiel: Du siehst eine Armbanduhr im Schaufenster (Antrag). Du gehst in den Laden und sagst, dass du die Uhr gerne kaufen möchtest (Annahme des Antrags). Der Vertrag ist geschlossen. 

 

Anders ist die Situation in Online-Shops: Gemäss Rechtsprechung und herrschender Lehre sind Angebote im E-Commerce immer dann verbindlich, wenn sie direkt heruntergeladen werden können (insb. Software, Musik, Videos, E-Books). Müssen die Produkte jedoch per Post oder Kurier zugestellt werden oder werden die Dienstleistungen offline erbracht, sind die Angebote im Online-Shop unverbindlich. Man nennt die digitalen Warenauslagen auch "Einladungen zur Offertstellung".  Deine Bestellung stellt den Antrag dar und erst mit Bestellbestätigung des Online-Anbieters gilt der Vertrag als abgeschlossen. 

 

PRAXISTIPP 5

Art. 9 OR sieht die Möglichkeit des Widerrufs eines Antrags oder einer Annahme vor. Damit der Widerruf gültig ist, muss er vor dem Antrag oder der Annahme beim Empfänger eintreffen.

Im Zeitalter von E-Mail und Chat ist dies in vielen Fällen kaum möglich. Hast du dich gerade für die Miete eines WG-Zimmers entschieden und den unterzeichneten Mietvertrag per Post abgeschickt, währenddessen du die Zusage für eine günstige 2-Zimmer-Wohnung erhältst, dann nimm sofort das Telefon in die Hand, rufe den Vermieter des WG-Zimmers an und widerrufe die Annahme des Mietangebots. Damit du den Widerruf beweisen kannst, sende am besten zusätzlich eine E-Mail oder noch besser einen Brief, den du persönlich abgibst und lasse dir den Empfang bestätigen. Das muss alles passieren, bevor der unterzeichnete Mietvertrag beim Vermieter eintrifft!